Musik-Seminar Teil 6-b

Musik-Seminar Teil 6-b

Bild: Esther Wenger „Milonga del Angel

Wir sind noch in der gleichen Zeit wie im Teil 6-a. Nämlich in der Zeit etwa von 1938-1945. Es ist für einige Orchester die Zeit der Gegenbewegung zu Juan D‘Arienzo mit seinem stark rhythmisierten Stil.

Osvaldo Pugliese 1905-1995 (*Buenos Aires) Piano

Osvaldos Vater war Arbeiter in der Schuhindustrie und spielte als Amateurflötist in verschiedenen Quartetten Tangomusik. Seine zwei älteren Brüder spielten Geige und so begann Osvaldo auch mit der Geige und bekam Unterricht von seinem Vater. Osvaldo ging nur bis zur vierten Klasse in die Schule. Dann machte er auf eigenen Wunsch eine Lehre in einer Druckerei, das gesparte Geld trug zum Unterhalt der Familie bei. Sein Vater kaufte ihm auf Kredit ein Piano. damit er Piano spielen lernte, es gab schon zu viele Geiger in der Famile. Er spielte dann mit zwei Freunden als Trio in diversen Lokalen. 1926 war er Pianist bei Roberto Firpo danach bis 1929 im Sextett von Pedro Maffia. Dann gründete er zusammen mit dem Geigenvirtuosen Elvino Vardaro und dem Bandoneonisten Anibal Troilo ein Sextett. Dieses Sextett gilt bis Heute bei Musikern als das beste Tango-Orchester. Leider hat dieses Orchester keine Plattenaufnahmen gemacht.

1939 gründete er sein eigenes Orchester. Die ersten Plattenaufnahmen entstanden 1943 und seine letzte Aufnahme war 1986. Pugliese war einer der stärksten Verfechter der „Guardia Nueva“ von De Caro und er blieb diesem Stil bis zum Schluss treu. Osvaldo war Kommunist und blieb es sein ganzes Leben. Wegen seiner kommunistischen Gesinnung wurden seine Stücke viele Jahre nicht im Radio gespielt und er war häufig im Gefängnis. Das hatte aber keinen Einfluss auf seine Beliebtheit. Wenn er imGefängnis war und sein Orchester hatte einen Auftritt, legten seine Musiker eine rote Rose auf das Klavier. Er pflegte in seinem Orchester einen demokratischen Führungsstil, im Gegensatz zu fast allen anderen Tango-Orchestern, welche hierarchisch geführt wurden.

Zu Beginn war Roberto Chanel sein Sänger mit einer nasalen Stimme, welche sehr gut zum Orchester passte. Später kam Alberto Morán dazu, welcher eine ganz andere Art zu Singen hatte, so dass er einen Kontrast zu Chanel bildete.

Instrumental

Titel: „El Arranque“ 1944 Instrumental

Titel: „Tierra Querida“ 1944 Instrumental, 3-3-2 Rhythmus bei 0m23s und 1m10s

Sänger: Roberto Chanel

Titel: „Muchachos comienza la ronda“ 1943 Sänger: Robero Chanel

Titel: „Qué bien te queda“ 1943 Sänger: Roberto Chanel

Sänger: Alberto Morán

Titel: „El abrojito“ 1945 Sänger: Alberto Morán

Titel: „Yuyo verde“ 1945 Sänger: Alberto Morán

Ricardo Tanturi 1905-1973 (* Buenos Aires) Piano

Ricardo war Sohn italienischer Eltern. Er hatte einen älteren Bruder. Zunächst lernte Ricardo Geige, wechselte aber bald auf das Piano. Ab 1924 spielte er in Clubs und Festivals zusammen mit seinem Bruder. Er studierte Medizin und schloss sein Studium mit guten Noten ab. Er gründete 1932 ein Sextett welches er „Los Indios“ nannte, nach einem beliebten Poloteam. Seine erste Platte nahm er 1937 auf.

Richtig bekannt wurde er mit seinem Orchester als er den Sänger Alberto Castillo engagierte. Castillo machte 1942 seinen medizinischen Abschluss als Gynäkologe. Castillo hatte ein ganz anderes Auftreten als die damaligen Tango-Sänger. Er kleidete sich originell mit einem übertriebenen Anzug und breiter Kravatte. Er war auch immer für einen Lacher gut und wirkte nicht so ernst und seriös wie die Anderen. Er hatte eine unglaubliche Bühnenpräsenz und seine Gesang war perfekt auf das Orchester abgestimmt. Seine Stimme hatte einen leicht nasalen Klang. Seine Art lässig aufzutreten und mit dem Mikrofon beim Singen zu hantieren, wirkte als ob er ganz unbeschwert, auf der Straße, sich unterhalten würde. Dadurch wurde das Orchester von Tanturi zu einem der beliebtesten seiner Zeit. Castillo hat mit Tanturi 37 Stücke aufgenommen. 4 Jahre blieb Castillo bei Tanturi bis er ihn verließ um ein eigenes Orchester zu gründen.

Nachdem Castillo Tanturi verlassen hatte glaubten alle, dass Tanturi einen ähnlichen Sänger suchen würde. Aber er fand einen Kontrast zu Castillo, Enrique Campos aus Uruguay. Campos hatte einen melancholischeren, weniger strengen und perfekten Stil. Er machte keine Gesangsshow wie Castillo, er sang ruhig und bescheiden. Er begann 1943 bei Tanturi und blieb bis 1946. Er hat mit Tanturi 51 Stücke aufgenommen. Viele lieben heute die Stimme von Campos mehr als die etwas nasale Stimme von Castillo. Aber Castillo war immer genau im Rhythmus zu dem Orchester, dagegen setzte Campos oft die Betonungen im Gesang anders als das Orchester, was vielen Tänzern Mühe machte. Für viele Tänzer ist das Orchester Tanturi ein Orchester ohne Spezialitäten ohne Auffälligkeiten. Für andere ist es gerade dadurch besonders, weil es seine Eigenart nicht durch Show erzeugte, sondern durch gediegenes Können.

Sänger: Alberto Castillo

Titel: „Como se pianta la vida“ 1942 Sänger: Alberto Castillo

Titel: „Esta noche me emborracho“ 1942 Sänger: Alberto Castillo

Titel: „El Tango … es el Tango“ 1942 Sänger.: Alberto Castillo“

Sänger: Enrique Campos

Titel: „Guiseppe el zapatero“ 1945 Sänger: Enrique Campos

Titel: „Una emotion“ 1943 Sänger: Enrique Campos

Titel: „Que nunca me falte“ 1943 Sänger: Enrique Campos

Angel D‘Agostino 1900 – 1991 (*Buenos Aires) Piano

Angels Vater und auch seine Onkel waren alle Musiker und viele bekannte Musiker gingen im Haus ein und aus. Im Haus stand auch ein Piano, welches kaum je unbenutzt war. Immer spielte jemand. So war das Piano auch ein Spielzeug von Angel. Er studierte später Piano an einem Konservatorium. Früh verließ er wegen der Musik die Schule. Aristokratische Familien beauftragen ihn auf ihren Partys zu spielen. So gründete er mit elf Jahren sein erstes Orchester, das unter dem Namen „Orquesta Infantil de Angel D’Agostino“ argentinische Musik spielte. 1920 gründete er ein neues Orchester um Tango und Jazz zu spielen. Es wurde auch vom Kabarett „Palais de Glace“ engagiert. Zu seinen Musikern gehörte Agesilao Ferrazzano, den er selbst für den besten Geiger des Tangos betrachtete.

1932 traf er zum ersten Mal Angel Vargas, der als Dreher arbeitete und er stellte ihn bei seinen Auftritten als Sänger vor. Eine echte Zusammenarbeit entstand aber noch nicht. Angel D‘Agostino hatte einen Freund Enrique Cadícamo, dieser war Komponist und Textdichter von Tangos. Sehr viele der Stücke des Orchesters von D‘Agostino stammten aus der Feder von Cadícamo. Sie waren beide Junggesellen und verkehrten im Club del Progreso und spielten dort Poker. Sie waren Playboys und versprachen sich niemals zu heiraten. Aber Cadícamo brach nach seinem fünfzigsten Lebensjahr sein Wort und heiratete ein zwanzigjähriges Mädchen. Seitdem hat D’Agostino nie wieder mit ihm gesprochen.

Der Erfolg des Orchesters kam erst 1940, als D‘Agostino Angel Vargas engagierte. Das war der Durchbruch.

Der Bandoneonist, Komponist und Arrangeur Ismael Spitalnik machte folgende Bemerkung: «Im Januar 1940 begann ich mit D’Agostino und als ich mir heute die Aufnahmen anhörte, merkte ich, dass es volkstümlich und einfach klang. Es gelang genau wegen dieser Einfachheit, der klaren und einfachen Sprache, wegen der Ausdrucksweise seines Sängers Angel Vargas, die es dem Publikum ermöglichte, die Texte perfekt zu verstehen».

Damit ist klar warum das Orchester einen solchen Erfolg hatte. Vielleicht gehört aber auch dazu, dass er ein sehr guter Tänzer war und sich selbst Milongero nannte. Da ja D‘Agostino und Vargas beide mit Vornamen Angel hießen, nennt man die beiden oder auch das Orchester, „los Angelitos“. Mit Angel Vargas hatte Angel D‘Agostino 93 Stücke bei dem Plattenlabel Victor aufgenommen. Angel Vargas blieb bei D‘Agostino bis 1946. Nach dem Weggang von Vargas, gab es noch weitere Sänger, aber der Erfolg des Orchesters ging stark zurück.

Sänger Angel Vargas

Titel: „Muchacho“ 1940 Sänger: Angel Vargas

Titel: „No aflojes“ 1940 Sänger: Angel Vargas

Titel: „Palais de glace“ 1944 Sänger: Angel Vargas

Miguel Caló 1907 – 1972 (*Buenos Aires) Geige und Piano

1907 kam Miguel Caló in Balvanera (Buenos Aires) auf die Welt. Er war Teil einer großen italienischen Familie. Ab seinem 16. Lebensjahr studierte er Geige und später auch Piano. Einige seiner Brüder widmeten sich ebenfalls der Musik. Mit 17 Jahre spielte er schon im Kino und konnte so etwas Geld nach Hause bringen. Mit 19 Jahren wurde er Mitglied des Orchesters von Fresedo. Dann gründete er sein erstes aber vergessenes Orchester. 1929 reiste er mit dem Orchester von Cátulo Castillo nach Spanien auf Tournee. 1931 ging er mit dem Orchester von Osvaldo Fresedo auf Tournee in die USA. 1932 gründete er sein eigenes Orchester und nahm die ersten Stücke bei verschiedenen Plattenlabeln auf. Der Klang des Orchesters erinnert an Fresedo und DiSarli. In dieser Zeit sang vor allem Carlos Dante in seinem Orchester.

Erst in einer zweiten Phase des Orchesters entwickelte Caló einen neuen Stil. Er vereinigte die traditionelle Art des Arrangements mit den Innovationen dieser Zeit. Er hob die Präsenz der Geigen und das rhythmische Spiel der Bandoneons an.

Ab 1939 nahm er Raul Berón ins Orchester auf. Raul Berón war ursprünglich Volksmusik-Sänger. Er begleitete Caló mit seinem Orchester bei Radioaufführungen. Aber die Leiter des Radiosenders mochten Berón nicht und baten Caló ihn zu entlassen. Traurig erzählte ihm Caló, dass er Ende Monat das Orchester verlassen müsse. Das war 1942. In der Zwischenzeit erschien die erste Platte welche Caló bei seinem Plattenlabel mit Berón aufgenommen hatte. Auf der Platte war auch der Tango „Al compás del corazón“ welcher zu einem unglaublichen Boom führte.

Die Leiter des Radios gratulierten ihm und zogen den Wunsch nach der Kündigung zurück. Berón wechselte 1943 zu Lucio Demare

Schon 1941 sang bei Caló, der 17 Jahre alte Alberto Podestá, der auch einen sehr guten Gesangs Stil hatte, aber nachdem Raul Berón einen so großen Erfolg bei Caló hatte, wechselte Podestá zu DiSarli. Er kam aber 1943 noch einmal für ein paar Aufnahmen zurück zu Caló.

Anstelle von Raul Berón kam jetzt Raúl Iriarte zu Caló, er blieb bis 1947.

Sänger: Raúl Berón

Titel: „Al compas del corazon 1942 Sänger: Raúl Berón

Titel: „Corazón no le hagas case“ 1942 Sänger: Raúl Berón

Sänger: Alberto Podestá

Titel: „Percal“ 1942 Sänger: Alberto Podestá

Sänger: Raúl Iriarte

Titel: „Despues“ 1944 Sänger: Raúl Iriarte

Titel: „Trenzas“ 1945 Sänger: Raúl Iriarte

Lucio Demare 1906–1974 (Buenos Aires) Piano

Sein Vater war der Geiger Domingo Demare und sein Bruder Lucas spielte Bandoneon. Bereits mit 8 Jahren galt er als Klavierprofi. Er trat von 14 Uhr bis Mitternacht in drei Kinos auf. Auch auf dem Schiff welches von Buenos Aires nach Montevideo und zurück fuhr, spielte er regelmäßig.

Demare sagt von dieser Zeit: „Die ganze Familie lebte in zwei Zimmern. Meine Mutter rief mich und sagte, dass das Essen kalt werde, und da ich nicht kam, drohte sie, es nach mir zu werfen, aber ich war immer noch am Klavier. Diese Dinge in mir waren aufrichtig, ich fühlte mich so. Ich glaube, ich wurde für Musik geboren. Woher es kam, ich weiß es nicht.“

Einige Jahre später wurde er in das Orchester des Bandoneonisten Nicolas Verona gerufen und sammelte da Erfahrungen im Jazz. 1922 mit 16 Jahren wurde er Teil des Orchesters Adolfo Carabelli. 1926 verließ Francisco Canaro Paris um nach New York zu reisen. Er bat Lucio Demare als Pianist dabei zu sein. Er blieb 2 Jahre bei Canaro und reiste mit ihm nach Paris und nach Madrid. Lucio kehrte erst nach der erfolgreichen Tournee 1936 nach Buenos Aires zurück.

1938 entschloss er sich ein eigenes Orchester zu gründen, zusammen mit dem Geiger Elvino Vardaro. Er trennte sich aber bald wieder von Vardaro. Bis 1945 wechselten sich mehrere Sänger in seinem Orchester ab: Juan Carlos Miranda, Raúl Berón, Horacio Quintana, Roberto Arrieta und Carlos Bernal. Das Orchester von Lucio Demare gilt als das sentimentalste und subtilste Orchester dieser Zeit.

Sänger: Juan Carlos Miranda

Titel: „Malena“ 1942 Sänger: Juan Carlos Miranda

Titel: „No te apures cara blanca“ 1942 Sänger: Juan Carlos Miranda

Sänger: Raúl Berón

Titel: „Canta pajarito“ 1943 Sänger: Raúl Berón

Titel: „El baile de los domingos“ 1943 Sänger: Raúl Berón

Sänger: Horacio Quintana

Titel: „El aguacero“ 1944 Sänger: Horacio Quintana

Der Sänger Hector Mauré beim Orchester Julio D‘Arienzo

1940 merkte auch D‘Arienzo dass, sich der Stil der erfolgreichen Tango-Orchester verändert hatte. Fast jedes Orchester hatte einen emblematischen Sänger.Troilo hatte Fiorentino, DiSarli hatte Rufino, Pugliese hatte Chanel, D‘Agostino hatte Vargas, Caló hatte Berón, Tanturi hatte Castillo usw.

Er brauchte also auch einen solchen Sänger. Er fand ihn in Hector Mauré. Ein Sänger der mit den wichtigsten Sängern dieser Zeit mithalten konnte und den Publikumsgeschmack traf.Hector Mauré war 1920 in Buenos Aires geboren. Sein Vater, italienischer Abstammung war Polizist und später Fabrikarbeiter. Hector verdiente sein Geld bis 1936 als Boxer und dann traf ihn ein Schlag im Ring so dass er damit aufhören musste und er sich entschied Sänger zu werden. Er studierte Gesang am Konservatorium. Mit Mauré veränderte sich das Orchester von D‘Arienzo stark. Die typische D‘Arienzo Rhythmik wurde durch den Sänger zurückgedrängt und das Orchester wurde stellenweise richtig romantisch. Das war für D‘Arienzo ein großer finanzieller Erfolg, aber ihn störte diese Veränderung seines Orchesters und ihn störte auch, dass Mauré der Star des Orchesters wurde. Die Leute kamen jetzt wegen Mauré. Darum musste Hector Mauré 1944 das Orchester verlassen.

Titel: „Infamia“ 1941 Sänger: Hector Mauré

Jetzt hören sie wie das Orchester sich durch den Sänger bis 1944 verändert

Titel: „Amarras“ 1944 Sänger: Hector Mauré

Titel: „Las doce“ 1944 Sänger: Hector Mauré

Im nächsten Teil geht es um die Zeit von 1945-1950

Teil 7

2 Replies to “Musik-Seminar Teil 6-b

  1. Tolle Informationen, sind sehr hilfreich, die Unrerschiede der Orchester auch mit deren Sängern zu hören. Etwas was man beim reinen Musikgenuss nicht nachvollzieht, weil es da nicht steht.
    Eine Kleinigkeit noch: Bei Miguel Caló steht 2 x Sänger Raúl Berón, beim 2. sollte da Raúl Iriarte stehen.

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