3. Die Phrasierung

Was versteht man unter der Phrasierung? Eine Phrase in der Musik entspricht etwa einem Satz in der Sprache. Sie hat einen klaren Anfang und ein klares Ende. Die Phrase entspricht auch einem Atemzug in der Musik und in der Sprache. In der Sprache endet der Satz mit einem Punkt. Im Tanz und auch in der Musik haben wir am Ende der Phrase die Möglichkeit Atem zu holen. Im Tango ist die Länge einer Phrase fast immer 4 Takte, dann kommt der Punkt und die nächste Phrase beginnt. Gehen die Tänzer und Tänzerinnen in normalem Tempo, ohne Verdoppelung, also zwei Schritte pro Takt auf 1 und 3, so sind das 8 Schritte pro Phase. Dies entspricht dem sog. Basis- oder Grundschritt. Die Phrasierung beschreibt die Gestaltung innerhalb der Phrase.

Die Phrasierung ist sehr wichtig, weil sie die Bewegungsart bestimmt und Ausdruck in den Tanz bringt. Wenn wir sprechen haben wir eine Sprachmelodie, sowohl in Anhebungen und Absenkungen des Tones, als auch in Beschleunigungen und Verzögerungen. Es gibt am Telefon diese künstlichen Stimmen, welche die Wörter in gleichen Abständen völlig gleichmäßig aneinander reihen. Das klingt sehr unnatürlich, weil die Beschleunigungen und Verzögerungen fehlen. Viele Musiker sind heute gewohnt sehr strikt zum Takt zu spielen (Metronom). Dadurch wirkt ihre Musik sehr klar aber auch emotionslos. Im Tango als emotionaler Tanz und Musik darf das nicht sein. Den Tänzern und Tänzerinnen gibt das die Möglichkeit mehr Ausdruck und Spannung in die Bewegung zu bringen.

Im Tango gibt es schon seit ganz früher Zeit eine spezielle Art der Phrasierung. Man nennt das Rubato. Rubato bezeichnete eine Spielweise, bei der die Melodiestimme vorauseilt oder zurückbleibt, während die Begleitung streng im Takt bleibt so, dass Melodie und Begleitung für eine Weile nicht synchronisiert sind. Berühmt für diese Technik waren Franz Benda, Wolfgang Amadeus Mozart und Frédéric Chopin.

„Daß ich immer accurat im tact bleybe. über das verwundern sie sich alle. Das tempo rubato in einem Adagio, daß die lincke hand nichts darum weiß, können sie gar nicht begreifen. bey ihnen giebt die lincke hand nach.“ – Wolfgang Amadeus Mozart: In einem Brief an seinen Vater vom 23./24. Oktober 1777

Hier ein Wikipedia-Artikel zum Rubato .

Hier Chopin Nocturnes

Rubato: Diese Art zu spielen kommt aus der Zeit der Romantik in der klassischen Musik. Es wird der folgenden Note etwas Zeit gestohlen, welche dann aber wieder zurückgegeben wird. Dadurch entstehen Verzögerungen und Beschleunigungen. Es spielt aber nicht das ganze Orchester diese Phrasierung, sondern es ist nur die Melodie welche den Rhythmus-Instrumenten voreilt oder verzögert. Es entsteht dadurch eine starke Spannung zwischen Melodie und Rhythmus, was die Tänzer und Tänzerinnen zu emotionaleren Bewegungen bringt. Diese Art Musik zu spielen ist für unsere zeitgenössischen Musiker schwierig. Musiklehrer sagen, das ist nicht mehr in ihren Genen. Es gibt eine Beschreibung von Chopin, dass seine Klavierschüler das erste Jahr nur mit der linken Hand ganz streng im Zeitmaß spielen mussten. Erst wenn das fest eingeübt war kam die rechte Hand mit der Melodie dazu, welche sich dann mit Rubato dazu gesellte ohne dass die linke Hand vom strengen Zeitmaß abwich.

Da das Rubato im Tango sich zwischen Melodie und Rhythmusinstrumenten abspielt und der Rhythmus dabei fest bleibt, erlebt und tanzt man das Rubato nur wenn man zur Melodie tanzt.

und hier ein sehr gutes Beispiel zuerst ohne Rubato und dann mit Rubato es lohnt sich das Anzusehen und anzuhören.

Ein weiteres Beispiel:

Daniel Barenboim spielt Tango

Arrastre: Arrastre bedeutet schleifen. Das heißt man spielt den Ton schon etwas vor der eigentlichen Note und schleift hinein mit einer Betonung am Schluss. Oft beginnt der Arrastre etwas tiefer als der Schluss und steigt in den Schlusston hinein. Für die Tänzer und Tänzerinnen ist es eine Beschleunigung in der Bewegung. Den Arrastre finden wir schon in den frühen Tonaufnahmen des Tangos.

Beispiele:

Arrastre mit der Geige von Jeremy Cohen

Beispiel zum Arrastre mit dem Bandoneon Carlos DiSarli 1943 „Don Jose Maria“

Synkope: Synkopen wurden im Tango schon früh verwendet. Es sind Rhythmus-Unregelmäßigkeiten, die entstehen wenn ein Schlag von einer betonten Stelle auf eine unbetonte verschoben wird. Aber es gibt einige verschiedene Arten von Synkopen. Die Synkopen im Tango sind wichtig, damit das Tanzen überhaupt interessant wird. Ohne Synkopen plätschert der Tango einfach nur dahin. Die meisten Synkopen sind einfach zum Tanzen, weil man schon vorher spürt dass sie kommen.

Hier ein Beispiel mit Tanz:

Off-Beat: Normalerweise tanzen wir auf die im 4/4 Takt betonten Noten 1 und 3. Die 2 und die 4 sind unbetont. Beim Off-Beat wird die Betonung von der 1 auf die 2 und von der 3 auf die 4 verschoben. Oft wird dieser Off-Beat ein bis 2 oder mehr Takte beibehalten und springt dann zurück zu den normalerweise betonten 1 und 3. Der Off-Beat kommt meist recht unerwartet, was zum Tanzen schwierig ist. aber man kann dann auch noch im 2. Takt einsteigen. Der Einstieg geht meist über einen Gewichtswechsel und der Ausstieg auch.

Hier ein sehr bekanntes Beispiel von D’Arienzo: „El Apronte“ mit mehreren Off-Beats

4. Die Form der Tangomusik

4 Replies to “3. Die Phrasierung”

  1. Wichtig fände ich in dem Zusammenhang den Begriff Agogik. Der fasst das meiste was du im ersten Teil schreibst in einem Begriff zusammen. Das spielen der Melodie vor der Zeit wird auch im Jazz gerne benutzt. Mit dem Saxofon oder der Bluesharp wird das gerne eingesetzt.

    1. Lieber Rainer, danke für deinen Kommentar. Mit dem Jazz hast Du recht, es gibt wunderschöne Stücke von Louis Armstrong & Ella Fitzgerald – Love Is Here To Stay (1957) mit tollem Rubato. Aber mit dem Begriff Agogik bin ich nicht einverstanden: Hier ein Zitat aus Wikipedia zu Rubato „Auch auf frühen Tonaufnahmen ist diese Praxis noch zu hören, nicht zuletzt in der pianistischen Manier, Melodietöne fast grundsätzlich nach dem Basston zu spielen. Im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts wurde der Begriff mehr und mehr gleichbedeutend mit Agogik verwendet, also als generelle Beschleunigung oder Verlangsamung des Tempos.“

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